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Jonas Hessling

Ein altes Gefühl

Manchmal passieren uns Dinge, die wir in ähnlicher Weise schon einmal erlebt haben oder Gespräche fallen auf Themen, die uns an dunkle Zeiten, an verpasste Chancen, an Zurückweisungen erinnert oder an Momente, in denen Dinge kaputt gingen, die uns sehr wichtig waren.

Und wenn wir dann alleine mit uns sind, die Ablenkungen und das Getöse des Tages langsam weniger werden, ist da dieses Gefühl. Vielleicht haben wir dieses Gefühl lange nicht mehr gefühlt oder es ist ein alter Wegbegleiter für uns, den wir schon lange kennen. Vielleicht zeigt es sich ganz deutlich in unserem Körper durch Verkrampfungen, Spannungen oder andere Körperempfindungen, vielleicht schwirrt es eher sachte im Hintergrund.

Kurz darauf wird unser Verstand sich einmischen. Er ist vielleicht der Ansicht, dass man solche Alten Gefühle nicht haben sollte oder dass jetzt schnell mal was gemacht werden muss, um dieses Gefühl nicht zu haben. Greif zum Essen, Guck eine Serie oder mach etwas Anderes um dieses Gefühl wegzubekommen, wird er wohlmöglich vorschlagen.

Aber wenn wir die Möglichkeit haben uns mit Geduld durch das laute Dickicht unserer Gedanken zu bewegen, zur Ruhe kommen und wir diesem Gefühl gegenüberstehen, wird es spannend. Was sollen wir damit machen? Wollen wir es bekämpfen? Wollen wir es ignorieren, drücken wir es weg? Dann ploppt es wieder auf, wie ein Luftballon der unter Wasser gedrückt wurde.

Oder können wir uns erlauben, dem Gefühl Platz einräumen? Können wir seine Existenz annehmen, ohne sie gleich als gut oder schlecht zu bewerten. Einfach als ein unangenehmes Gefühl, dass bestimmte Ausmaße angenommen hat, sich im Hier und Jetzt zeigt. Wir können erst einmal in einem gewissen Abstand dazu verweilen. Im aktuellen Moment, mit der vollen Aufmerksamkeit, die uns zur Verfügung steht. Beobachten es, bleibt es in der Körperregion oder bewegt es sich, wird es größer oder kleiner oder ändert es seine Form? Gedanken werden immer wieder auftauchen und uns wegführen vom Hier und Jetzt. In Situationen, in Geschichten, die mit diesem Gefühl zu tun haben oder ganz weit weg davon. Um uns im Moment zu verankern, können wir im Hintergrund auf den Rhythmus des Atems achten, während im Vordergrund die Körperempfindungen präsent sind.

Wenn wir es eine Zeit lang beobachtet haben, können wir versuchen uns diesem Gefühl zu nähren. Wieder nutzen wir dafür den Atem als Anker. Wir können Kontakt mit dem Gefühl aufnehmen, indem wir in die intensivste Körperstelle hinein atmen. Wir geben dem Gefühl Raum, Luft und Aufmerksamkeit, um da sein zu können. Wenn wir uns es vorstellen können, dann dürfen wir auch eine Art von freundlicher Gesinnung, Mitgefühl oder Selbstmitgefühl aufbauen, mit der wir den Raum um die Körperempfindung füllen oder ummanteln können. Beispielsweise nehmen wir dafür die Vorstellung, das Gefühl handele sich um einen alten, kranken Freund den wir im Krankenhaus besuchen, dass es ein Kind sei, das unseren Trost benötigt oder eine schöne Knospe, die wir vorsichtig in Händen halten, eine interessante Umgebung die wir neugierig betrachten.

Es ist ja schon präsent, hat sich in unsere Gegenwart eingenistet und warum sollten wir es nicht empfangen? Aus Angst wie schmerzhaft es sein wird? Weil dies ein altes Gefühl ist, dass wir nicht mehr haben sollten? Ist es aber nicht da und verlängern wir den Schmerz nicht, wenn wir es verleugnen? Wird es sich nicht umso deutlicher zeigen, wenn wir ihm nicht jetzt begegnen?

Und wenn wir dem Gefühl doch mit voller Bereitschaft begegnen, dann zeigen wir die Haltung von Unerschrockenheit und Mitgefühl, die Essenz der Achtsamkeitsübung. Dann wird es sich in der ein oder anderen Weise verwandeln. Vielleicht schenkt es uns eine Botschaft über unsere Bedürfnisse in der Gegenwart, löst sich auf in Tränen über die Vergangenheit oder verwandelt sich in Dankbarkeit und wir erkennen, dass wir die Botschaft schon vor langer Zeit leise gehört haben und erst jetzt verstehen können. Möglicherweise wird es wiederkommen und wir haben erneut die Chance ihm zu begegnen und dann wird es sich eines Tages, nach vielen Begegnungen in das Auflösen, was es auch vorher war, fließende Energie in dem unendlichen Raum unseres Bewusstseins und Körpers.

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